Samstag, 26. Februar 2011

Mark Growden



Er hat's schon wieder getan!

Mark Growdens "Saint Judas" ist noch kein ganzes Jahr alt, da legt der Multiinstrumentalist aus San Francisco schon wieder nach. War sein letztes Album eher intim berauscht von Improvisation und Freispiel schlägt "Lose Me In The Sand" erdigere und gefühlsversehrtere Töne an. Keiner sollte sich schließlich an Springsteenschem Liedgut versuchen, wenn es nicht mindestens ebenso faszinierend und gebrochen klingt wie im Original (I'm On Fire). Janis Joplin wird ebenso Referenz erwiesen (Star Spangled Benz) wie Traditionals frei nach Mark Growdens Musikverständis, nämlich frei und ungebunden wiederauferweckt (John Hardy, Shady Grove) werden. Die Intensität seiner Stimme, die Growden auf Saint Judas noch so vortrefflich zwischen seinen instrumentalen Wurzeln versteckte, tritt dieses Mal mehr zu Tage, neben dem fast nur mit einer Harmonika begleiteten "Lovin' Emma" fällt hier vor allem das im Zwiegespräch mit einem betrunkenen Seemannschor vorgetragenene "Takin' Me Time" auf. Wie aus einer Jamsession erwacht, mimt Growden hier in schönstem Waits-Duktus oder Cave-Manier den gestrengen, aber dennoch lässigen Prediger.
"Lose Me In The Sand" ist ein erstaunlich inkonsequenter Nachfolger zum verschrobenen "Saint Judas" geworden. Genau das macht aber auch seinen Charme aus. Ein trotz aller Stolperfallen durchaus eingängiges Album, das den Blick nach aussen wirft und eben doch eher zum Mitsingen denn zum Nachdenken anregt.
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Mittwoch, 23. Februar 2011

Alexander Hacke & Danielle De Picciotto



Good Evening, Ladies And Gentleman, Welcome To The Outlaws Circuit...

Es ist sicherlich ein weiter Schritt von den "Einstürzenden Neubauten" zu kunstvoll ausstaffierten Zirkuszelten und magischen Zigeunerwagen. Alexander Hacke ist ihn dennoch gegangen und hat zusammen mit seiner Ehefrau Danielle De Picciotto nach vielen Experimenten ähnlicher Couleur "The Hitman's Heel" aufgenommen.

Gleich der Anfang "The Circuit" führt den Zuhörer in eine Welt, die irgendwo zwischen "Moulin Rouge" und "Der Elefantenmensch" liegt, um in (Film-)Bildern zu sprechen. Hacke übernimmt den Part des Conferenciers, er wirbt um die Gunst seiner Besucher, die sich in der teilweise bizarre Welt zwischen Freakshow und Panoptikum verirren sollen. Musikalisch irgendwo zwischen Western-Swing, Drehorgel und Zigeunerweisen, zusammengeführt in einen vollmundigen Folkrocksound brausen die beiden Hauptakteure durch 12 teilweise atemberaubende Songs. Die rezitative Sprachgewalt Hackes steht dabei in krassem Gegensatz zur süßlich-verlockenden Stimmfarbe seiner Gattin, die direkt nach dem ungestümen Auftakt das Kinderlied "Skip To My Lou" in einen schwülwarmen Chanson integriert. Danach darf Hacke wieder seiner Lust am Chaos fröhnen und wirbelt mit tosenden Orgelklängen und einem massiven Bolero-Rhythmus durch "War". Nicht in jedem der in der Regel sehr langen Titel findet sich dann allerdings Gesang, sowohl das schwebende "Biker's Lullaby" mit seiner etudenhaften Pianomelodie als auch das herzhafte "Even Futher" dienen wohl der Untermalung eines verstiegenen Bühnenprogramms oder eben des bereits entstandenen Kopfkinos. "A Hitman's Heel" schöpft hierbei ständig aus dem Vollen. Die Grundstimmung mit ihrem morbide-gruseligen Charme vergessener, goldener Zirkustage bleibt unterschwellig ständig präsent. Hacke und De Picciotto nutzen allerdings jeden sich bietenden Freiraum, der sich durchaus auch mal albern wie bei "Nauseous Waltz" oder wütend und zornig wie im Titelstück ausbreiten darf.
Egal ob mit visueller Umsetzung oder ganz für sich alleine, "The Hitman's Heel" ist eine fabelhafte von zarter Nostalgie umwehte Platte geworden. Genau wie bei einer gelungenen Zirkusvorstellung allerdings eben vor allem als Ganzes ein Genuß, wenn auch bei fast siebzig Minuten am Stück nicht eben einer leichtes Kabinettstückchen.

Und nun, hereinspaziert:

Sonntag, 20. Februar 2011

Aufgemerkt: Erland & The Carnival

Ui, das ging schnell.

Im letzten Jahr mischten Erland & The Carnival schon ganz zu Anfang mit und setzten mit ihrem selbstbetitelten Debut und vielen tollen Folk- und Popsongs  ein erstes Ausrufezeichen, als es um die besten Alben von 2010 ging. Ob das 2011 auch gelingt? Ähnlich zeitig im Jahr darf "Nightingale" das Licht der Welt erblicken und der Vorbote "Map Of An Englishman sogar bereits als Video bewundert werden. Es ist schon bemerkenswert, wie wenig er dem Erstling ähnelt, und doch: er verspricht mit seinem sehr vitalen und eingängigen Popappeal einiges, allerdings ist das hübsche 60er-Jahre-Feeling schon auf der Strecke geblieben. Mal sehen:

Mittwoch, 16. Februar 2011

Graveyard Train



Gothic-Country auf australisch, geht das??

Ganz bestimmt ist dieses Musikgenre amerikanisch wie sonst kein zweites. Dennoch sind in den letzten Jahren so einige Bands und Gruppen aus Australien mit an Bord genommen worden. Vor einiger Zeit hatte der Bänkelsänger bereits Mojo Juju & The Snake Oil Merchants und Mikelangelo & The Black Sea Gentleman angesprochen, ebenfalls Australier, bei denen das Hauptaugenmerk allerdings vordergründig beim Dark Cabaret und Folk Noir liegt, um wieder mal ein paar Schubladen zu öffnen.
Graveyard Train sind hier traditioneller, wird doch weniger mit Übersteigerung, wilden Kostümierungen und Vaudeville-Elementen gespielt. Vielmehr packen einen die Musiker aus Melbourne beim Schlaffittchen und nehmen ihre Zuhörerschaft auf eine unterhaltsam gänsehautfördernde Reise durch die Nacht. Ob beim Begräbnis-Sing-A-Long "Funeral", das sich ob der schneidenden Stimmen nicht zwingend zum fröhlichen Mitschunkeln eignet oder bei "Let's March Boys" mit seinem namensgebenden Marschrhythmus, hier wird Finsternis zum Programm gemacht. "Horror Country" nennen es die Bandmitglieder selbst, die klangvolle Namen wie Governor Shinbone Mc Dagger oder Scarecrow Bone Marrow ihr Eigen nennen und allesamt sowohl zu Instrument als auch zur Stimme greifen. Das Nachsingen besonders gänsehautfordernder Passagen oder shantyähnlichen Gruselstückchen ist dabei eins ihrer beliebtesten Stilmittel. Manchmal klingt ein wenig osteuropäische Folklore durch "The Devil's Drum", manchmal ein Hauch Seefahrerromantik wie bei "The Ferryman", immer jedoch mit einem Nimbus von Nostalgie und Erinnerung verbunden.
Es ist dann sehr passend sein Album "The Drink, The Devil & The Dance" zu nennen, um nichts anders geht es dann nämlich in der nächsten knappen Stunde: höllisch eingängige Melodien, für die sich in Teilen auch Nick Cave oder Tom Waits begeistern würden, rauschschwadengeschwärzte Atmosphäre durch das Whiskeyglas und langsames holpriges Wanken und Wogen, einer torkelnden Mumie gleich.
Womit wir beim Thema wären:

Freitag, 11. Februar 2011

Bobby Long



Zwielicht als Sprungbrett??

"Let Me Sign" hieß ein erstes bemerkbares Lebenszeichen Bobby Longs, hatte er den Song doch für den Twilight-Soundtrack Robbert Pattinson auf den Leib komponiert. Dabei hätte er durchaus auch selbst mitmusizieren können, das kann er nämlich bei weitem besser als der untote Schönling aus der Zwischenwelt.

Mit "A Winter Tale" liegt nun seit einigen Tagen ein erster richtiger Longplayer des britischen Songwriters vor. Blues, Folk, eine Spur Country und vor allem viel Gefühl zeichnen die elf darauf enthaltenen Stücke aus. Im gleichnamigen Opener gleicht er frühen Heroen des Genres, klingt gleichermaßen nach Neil Young und Bob Dylan und bewahrt sich doch eine ungestüme Frische. Das darsuf folgende "Who Have You Been Loving" dagegen lässt die Zügel ein bisschen schleifen und verschleppt das Tempo zugunsten eines mehr als eingängigen Refrains nur um im dritten "The Bounty Of Mary Jane" wie ein vergessener Mumford-Sohn zu klingen, mit herausragender Gitarrentechnik und süßlichem Frauengesang im Background.
Diese in ihren engen Grenzen dann doch sehr wandelbaren Stimmungen kippen im Verlauf von "A Winter'Tale" vor allem mit denen ihnen innewohnenden Tempi, klar wird hier mit traditionellen Schemata gespielt und natürlich hat man das auch irgendwie irgendwo schon mal gehört. Dennoch sind Titel wie "Dead And Gone" oder "Being A Mockingbird" so wunderbar anders und frisch, was selbstverständlich auch an der kratzig-sonoren Stimme Longs liegt. Er beherrscht das "boom-tchicka-boom" eines Johnny Cash in "In The Frost" genauso wie das sanfte in den Tag hinein gleiten, pickt und slidet auf seinem Instrument mit Vehemenz hin und her und intoniert die traurige Folkballade genauso wie den "Freight Train"-Sound und die Erinnerung an die guten alten Zeiten.
"A Winter Tale" erinnert häufig an das Debut Dylan LeBlancs aus dem letzten Jahr, jedoch ohne die wehmütig inszenierte Idylle. Long will eher aufmüpfiger und eigensinniger Troubadour sein, ein echter Bänkelsänger eben.

Ein akustisches, sehr fein akzentuiertes Beispiel gibt's dann als Dreingabe auch noch:

Dienstag, 8. Februar 2011

Kaizers Orchestra

Gegen das Klischee....

Norweger tragen bunte, mit Rentieren versehene Strickpullis und Mützen, leben gemeinsam mit Trollen und Waldgeistern und sind fantastische Skilangläufer und Biathleten. Das stimmt alles irgendwie, aber einige von ihnen sind zudem auch noch sehr gute Musiker. Die heißen dann eben nicht nur a-ha, sondern in diesem Fall Kaizers Orchestra und deren mittlerweile fünftes Album Violeta Violeta Vol. I ist dieser Tage aus dem hohen Norden auch in die hiesigen Breitengrade hinübergeschwappt.

Das Bemerkenswerte an Kaisers Orchestra ist vor allem eines: sie singen auf Norwegisch und lassen bzw. ließen sich gerne auch mal in martialischen Outfits abbilden. Zudem ist und war die Musik häufig schwermütig und unkontrolliert, polka- oder tangoinfiziert, mit wildem Instrumentarium ausstaffiert und gerne auch von überschnappendem Gesang überlagert. Ist Violeta Violeta Vol. I die erste Begegnung mit Kaizers Orchestra mag sich der ein oder andere Hörer erst an die unkonventionellen Klänge zwischen Post-Pop, U-Musik, Polka und Dark Cabaret gewöhnen müssen, allen anderen sei gesagt: es wird ein wenig fröhlicher. "En For Orgelet, En For Meg" zwischert über einem halbfertigem HipHop-Beat, pfeift aus dem letzten Loch und verschwendet ein kauziges Banjo an den Hintergrund. "Diamant Till Kull" wiederum ist ein Popsong zum Mitsingen, -schunkeln und tanzen und macht vom ersten Ton an gute Laune.
Die sechs Musiker der Stammbesetzung rund um den charismatischen Leadsänger Janove Ottensen wollten mit dem ersten Teil ihrer Violeta-Trilogie eine Art Konzeptmärchen erstellen. Es geht im weitesten Sinne um die spirituelle Verbindung von einer Mutter und ihrer Tochter, Violeta, die sich in ihren Träumen wiedertreffen. Ein wahrhaft sinnenreiches Unterfangen, auch wenn man nur einen Teil des Hintergrunds kennt, wird doch durch Titel wie dem kraftvollen Balkan-Folker "Psycho Under Min hat" schnell klar, wohin die Reise geht.
Es ist wieder mal ein herrlich abwechslungsreicher Flickenteppich, der sich zu einem dunkelbunt gefärbten Bild zusammensetzt. Genau wie das Zwiellicht der Februarsonne in den frühen Abendstunden. Das ist dann auch genau die richtige Stimmung, überdreht und doch melancholisch, verrückt und voller Dramatik....und gegen alle Klischees.

Freitag, 4. Februar 2011

James Blake



Vom Aufspringen auf fahrende Züge:

Verfremdung und Bearbeitung, Konsens und Kontroverse. Stichworte, die treffend beschreiben, was sich im Kopf des Konsumenten beim ersten Hördurchgang des selbstbetitelten Debutalbum James Blakes abspielen könnte. 
Mit schier unendlicher Seelenqual wandert der junge Engländer durch sonderbare Soundkonstrukte, die vor allem eins gemeinsam haben: sie erzeugen eine beängstigende Spannung. Blake, der schon im Vorfeld mit einigen herausragenden EPs auf sich aufmerksam gemacht hat, treibt seine vor allem instrumentalen Gedankensprünge auf die Spitze, in dem er sie fast vollends seiner Stimme unterordnet. 
Mit Klangfarben, die sich zuweilen Justin Vernon oder auch Antony Hegarty annähern. Vielmehr aber noch dann, wenn sie verfremdet oder fern von jeder Vergleichsmöglichkeit fast schwerelos durch den Raum getrieben werden. Musik, die sich zu keiner Zeit in einen Rahmen pressen lässt, mal wird Gospelnähe suggeriert, mal behindern sich die diversen Bruchstücke selbst in derEntwicklung und es kommt zum Zusammenprall von dubsteppigen Fragmenten und elektronischen Soulklängen. 
Es mag einem Aufschrei, ja sogar einer kleinen Rebellion gleich kommen, wie sehr sich das Album weigert, sich Schubladen zu eigen zu machen, in dem er den einzelnen Tracks zwar eine Linie und eine Richtung vorgibt, diese sich aber im Nebel verliert und auch nicht mit Sprüngen zwischen nahezu konventioneller Komposition und ereignisreichem Freispiel geizt. "Limit To Your Love" und "The Wilhelm Scream" fungieren hier als Gratwanderer: soviel Melodie wie möglich, jedoch zu welchem Preis? Der Gewinn ist jedenfalls atemberaubend. Eine zweiteilige Miniatur mit spirituellem, kontemplativen Bezug (Lindisfarne I + II), ein in seinen Grundfesten erschütterter Gospel namens "Measurements" oder pyramidenhafter A-Capella-Aufbau bei "I Never Learnt To Share", Blake verbindet das Unverbindbare und stellt doch alles in einen hörenswerten Albumkontext.

Ein Zug, den man besser erst gar nicht verpassen sollte.

Dienstag, 1. Februar 2011

My monthly Mixtape: Februar

Noch ist Winter, es ist wieder krachkalt da draußen und für die trauten Stunden am heimischen Kamin, Ofen oder auch unter der karierten Kuscheldecke muss der passende Soundtrack her. Dieses Mal wird gekratzt, gekreischt, geheult, gefleht und sanft vor sich hingeschnurrt, dieses Mal auch gerne mit Saxophon, dem „In“-Instrument 2011, wie zahlreiche Beispiele auf diesem, aber sicherlich auch den folgenden Monatsmixtapes zeigen werden. Vom Folk mit Lo-Fi-Punk-Attitude bis hin zu Jazz-Gospel-Soul-Variationen reicht das Spektrum dieses Mal: Leinen los!

01. Cult Of Youth - New West
02. Smith Westerns - Weekend
03. Destroyer - Savage Night at the Opera
04. Tapes 'n Tapes - One in the World
05. Iron & Wine - Rabbit Will Run
06. The Ambience Affair - Parting Patterns
07. Spokes - 345
08. Tu Fawning - Diamond In The Forest
09. Esben and the Witch - Marching Song
10. Anna Calvi - Desire
11. Adele - Rumour Has It
12. Wanda Jackson - Rum And Coca-Cola
13. Signe Tollefsen - Glory Box
14. Morphine - The Night
15. James Vincent McMorrow - From the Woods!!
16. Chris Bathgate - No Silver
17. The Mountain Goats - Damn These Vampires
18. The Decemberists - June Hymn
19. Daniel Martin Moore - In the Cool of the Day

Zur Einstimmung auf ein nebulös-brachiales Mixtape gibt's ein ebensolches Video:



...und natürlich wird auch dieses Mixtape bald beim wundertollen Radio der von Neil Young Getöteten zu hören sein.