Sonntag, 24. Juni 2012

Lauschbilder - II


Es setzt sich fort! Ich kann eine neue Ausgabe von Lauschbildern präsentieren. Genau wie beim letzten Mal ist die Auswahl willkürlich, ungeordnet und vor allem der Originalität, Qualität und dem Erfindungsreichtum der Musiker und Videokünstler geschuldet. Vorgang und Augen also auf und gehen sie bitte nicht weiter, denn hier gibt es was zu sehen:

Am Einfachsten startet man mit Bewährtem, und wie es der Zufall will, haben Lady Lützen und Jarno Vasted alias Straight From The Harp auch für diese Lauschbilder-Ausgabe ein Video parat. "Mon Homme" ist die zweite Single vom zweiten und just dieser Tage veröffentlichten Album "I'm On Fire Just For You" und mindestens so toll wie das vorangegangene "GoGoGoGoGo". Man höre und genieße die Farbenpracht:


Schon ein wenig älter, nämlich aus dem Februar ist "Don't Take That Flight" von Labrador Labratories, die Wurzeln in Israel, Serbien und San Francisco haben. Eine witzige Idee peppt den kleinen feinen Folksong auf, der sicherlich ein schmackhafter Vorbote für das dritte Album ist.

 

Ein Video mit tänzerischer und wichtiger Botschaft kommt wiederum von Glass Child alias Charlotte Eriksson. Wenn man wie bei "I'll Never Tell" so poetisch und doch so realistisch auf häusliche Gewalt hinweist und gleichzeitig einen feinen Song abliefert, ist dass dem Bänkelsänger immer einen Beitrag wert.


Und dann noch was ganz anderes. WAS. Und ihr irgendwo zwischen Neofolk, Expressionismus und morbidem Songwritertum auffindbares "Toter Weißer Rabe":





Donnerstag, 21. Juni 2012

Staring Girl



"Bitte warte auf die guten Gedanken und dann halte den Kopf still, damit sie nicht verwackeln" 

Huch, Lyrik! Und dann auch noch so gegenwärtig gegenständlich. Staring Girl aus dem Norden Deutschlands (Hamburg, Kiel) sagen was sie denken und musizieren geschickt darum herum. Hat da jemand Kettcar gesagt? Oder Gisbert zu Knyphausen? Oder Moritz Krämer? Oder...? Wieder so eine schluffige Indie-Combo, die auf den Zug des melancholischen Popsongs aufspringt, ganz ordentlich aussieht und dabei Musik macht, die gleichermaßen nachdenklich und aufrüttelnd klingt? 

Staring Girl können da doch schon eine ganze Menge mehr. Zum einen schmiegen sich die kleinen Songs wie Handschmeichler ganz nah an eigene Gewohnheiten heran und Sänger Steffen Nibbe mit dem, ja was wohl, zu-Knyphausen-Timbre durchleuchtet Regen und Nacht um eng und dicht heranzukommen, an die schon erwähnten guten Gedanken. Die bösen Worte stehen hinter seinen Zähnen schließlich Schlange, denn Nibbe ist keiner von den plaktiven Predigern, er ist realisitischer Feingeist und genau davon handeln auch die zehn kleinen Alltagsgeschichten auf "7 Stunden und 40 Minuten", die Anfang des Monats bei K&F Records eingefangen worden sind. 

Momente, besser eingefangen als auf jedem Instagram-Schnappschnuss werden zu Geschichten, zu Gedankenspielen, die sich von den behaglichen Folk- und Alt-Country-Elementen im Indiepop der Hamburger Musiker einwickeln lassen. "Machen, tun, bewegen und eine Reihe Rücken am Tresen" heißt es in "Vorhänge" dass hiermit genau so ein Bild bereit hält sich genauso echt und realistisch anfühlt, wie es gemeint ist. Da werden "Cornflakes mit Milch" zum Symbol für Rhythmus und Melodie des Alltags, wieder ein Frühstück, wieder ein Tag, wieder zahlreiche Momente, unzusammenhängend und doch passend. 

Staring Girl wagen sich allerdings kaum aus ihrem kleinen Diorama heraus. Manchmal möchte man Nibbe schütteln, am Schlaffittchen packen und ihm beim sich ewigen Zuhören stören: doch dann taucht auf einmal ein verhaltener Männerchor auf, "Vorhänge" wird zum beseelten Country-Shanty und lässt "7 Stunden und 40 Minuten" für einen kurzen Augenblick die Handbremse lösen. Doch schon beim folgenden "Mann Im Zimmer" fangen sich Musik und Sänger wieder, der schunkelnde Unterton verschwindet und die für einen Moment aufgerissenen Vorhänge schließen sich für mehr Intimität, die erneut tröstet und gut tut. 

Es ist kein lautes und aufregendes Album geworden, trotz der etwas unruhig startenden ersten Single "Türgriff abgebrochen" und doch ist es von einer filigranen Spannung durchzogen, die von der ebenso behutsamen, jedoch genauso interessanten Instrumentierung unterstützt wird. Wenn, wie in "Kaltes Haus" erst ein beseeltes Akkordeon für Stimmung und dann die jangelnde Gitarre für Gefühl sorgt oder die zarten Mundharmonikatöne in "Jeder Geht Allein" einen schütteren Americana-Moment hervorzaubern. 

Wahrscheinlich war der lyrische Einstieg bei Nibbe und seinen Mannen Programm: Hier wackelt nichts und somit ist "7 Stunden und 40 Minuten" voll von lyrischen, behaglichen, angehnehmen, einnehmenden und vor allem guten Gedanken. 
 
 

Montag, 18. Juni 2012

Aufgemerkt : Schoenholz



Kein Schiffbruch.

Die Gedanken treiben den Hörer weit hinaus. Schoenholz - Ceylon. Das klingt nach altem Teeclipper, riecht nach warmen Hölzern und hat diesen leicht sepiafarbenen Schimmer, der aus allem eine träumerische Erinnerung macht. Doch schillert die Berliner Band um die Sängerin Daniela Schönwald eher in Nuancen die sich in Pfützen spiegeln, in blassem Blau oder kaltem Schwarz, lässt bittersüße Melancholie walten und klingt weise und vehement zugleich.

Musikalisch bewegt sich das Debüt der vier Musiker, das über Timezone Records am 06.07.2012 in die hiesigen Plattenhäfen einläuft, auf einem hin und her schlingernden Drahtseil, das Spannung und langsames Loslassen gleichermaßen verlangt. Fast immer dunkel, an der Grenze zwischen Wahrhaftigkeit und Halbschatten, gerne dem Mond zugewandt. "Gespenster" die sich wie filigrane Gespinste um Ecken und Kanten winden und einen silbrigen Glanz verleihen, durchdringen die neun Stücke, die sich zuweilen fiebrig, dann aber doch wieder kalt und keusch anschleichen. Die Stimme Schönwalds windet sich in langgezogenen Klangmäandern um sich selbst und wird erst beim folgenden "3011" beherzt freigelassen. 

Metaphern, Bilder, Symbole. Schoenholz malen mit dem dicksten Pinsel und kramen in den Stichwortkisten das Unterste zuoberst. "Am Fuße des Berges verbrennt das Tal" singen sie und lassen Menschen ins Licht schauen, das Gesicht des Teufels tanzen und bestärken dieses zu Gitarren- und Schlagzeugwirbeln durch bitterschwerste Lyrik: "Luft und Stein, Fleisch und Geist, der achte Tag ist dunkelweiß".

Vergänglichkeit, Berührung und doch Wagemut. Der wundervolle Titeltrack spiegelt die unglaubliche Emotionalität der vordergründigen Tristesse wieder. Allein wie Schönwald den Begriff "Staub" mit schneidender Stimme in den Nachthimmel katapultiert, lässt Gänsehaut am ganzen Körper aufkommen. Mal frühe, chansoneske Anna R., zuweilen auch Ebba Durstewitz von JaKönigJa, ein wenig Hildegard Knef, dazu ein Quäntchen Josepha Conrad von Susie Asado. Mal betont bestimmter Beinahe-Sprechgesang wie im vertrackt-verjazzten "Vogelfrei", mal fast schon von begnadeter Güte wie bei "Weine Nicht", welches sich zwischendurch verdächtig nah an deutschen Befindlichkeitspop annähert. 

Dazu ein nicht immer ganz maßgeschneiderte Tagelage aus Klang und Schall, gerne ein knarziger, einsamer Bass, der gemeinsam mit Tasten und fokussiertem Schlagwerk das experimentreiche "Vogelfrei" einfängt und in einen nach vorne galoppierenden Klippenspringer verwandelt. Zumeist aber schlagen Schoenholz Töne aus einem leidlich farbärmeren Tuschkasten an, "Blasses Blau" darf dazu am eleganten Dinnerjazz schnuppern, im hübschen Kontrast zum durchaus drastistischen Fabuliergrad der Sängerin, "Kaltschwarz" wiederum erinnert an morbiden Pop, an die 80er Jahre, an klirrende Stimmung und ja, doch auch an die Erzählfreude deutscher Meistertexter wie Rio Reiser.

Es ist trotz aller Tragik und Drastik, die Schoenholz verbreiten, kein Schiffbruch, es ist vielmehr ein hoffnungsvoller Stapellauf auf ein Gewässer zu, dessen Untiefen gar nicht risikoreich genug sein können.

Hören? Gerne.

Montag, 11. Juni 2012

Crystal Shipsss



Schon komisch.

Da wird das letzte Album Jacob Faurholts erst jetzt offiziell in Deutschland veröffentlicht und schwupps kommt er mit einem neuen Projekt um die Ecke. Crystal Shipsss hat aber nichts zu tun mit den intimen, behaglichen, aber doch kargen Folksongs auf "Dark Hours".
Vielmehr sucht sich Faurholt auf "Yay" ganz neue Wege. Verwunschen, verspult und immer mit jeder Menge DIY-Gefühl vagabundiert er durch 10 Stücke, von den die meisten nach knapp zwei Minuten schon wieder vorbei sind.

Es sind kleine Lo-Fi-Verrücktheiten, die trotz oder gerade wegen ihrer kindlichen Kurzweiligkeit im Ohr bleiben. Nicht lange, aber immer lange genug, um sich noch einen weiteren Durchgang von "Yay" zu gönnen.
Da ist die Single "Smile", die das Ohr ungewohnt rauschhaft umgarnt und dann doch plötzlich wieder verschwindet. Das nachdenkliche "My Dark Slimy Soul", dass sich wie ein Shot aus Zuckerwatte mit Lakritzgeschmack urplötzlich im Genick festsetzt und sein Gespinst für das Folgende noch dichter webt. 

Unbeherrscht ist Faurhault trotz aller Experimentierfreunde aber nicht. Die Melodien tauchen nur nicht mehr so früh und unvermittelt auf, ist das Klangbild jedoch in Mark und Bein übergegangen, Man fühlt sich erinnert an das "Lust Lust Lust"-Album der Raveonettes, an The Jesus & Mary Chain, an Petitessen des ersten Album der The Pains Of Being Pure At Heart. Nur fehlt den skizzenhaften Songs vielleicht zuweilen der Halt, hier wäre weniger Konsequenz sicherlich hilfreich gewesen.

Doch auch so bereitet Faurhault einen hübschen kleinen Lückenfüller, der vor allem neugierig macht auf Faurhault selbst. Nimmt man nur die letzten beiden Veröffentlichungen des Wahlberliners und gebürtigen Dänen und seine Umtriebigkeit als Muster, kommt da sicherlich noch eine ganze Menge nach. Mit "Yay" lässt sich das mit Spannung und Experimentierfreude erwarten und so darf dann auch das obligate Video für das heute bei Raw Onion Records erscheinende Album nicht fehlen:

 

Sonntag, 3. Juni 2012

My monthly Mixtape: Juni


 Fundstücke. Der Juni bringt so viel zusammen, wie schon lange kein Monat mehr. So suchen wir den Strand ab und finden Zerbrochenes, Aneinandergefügtes, Aufeinandergestelltes, Angesetzes, Zerklüftetes und Rundgewaschenes. Begeben wir uns also auf die kleine Expedition und finden nahezu 50 Jahre Historie, denn das Mixtape des Monats umspannt vom lässigen Doo-Wop-Soul der Fifties über die psychedelischen Schlieren der 60er und 70er-Jahre auch ätherisches Popempfinden, pathetische Folkrockmelancholie und sanftes Songwriterliedgut aktuellster Prägung und bleibt doch komplett im Jahre 2012.


01. Tu Fawning - Anchor
02. Exitmusic - Passage
03. Daughn Gibson - Tiffany Lou
04. Garda - Upper/Lower Water Course
05. Edward Sharpe & The Magnetic Zeros - Man On Fire
06. Nick Waterhouse - Say I Wanna Know
07. Ben Schadow - Einer aus Stolz, einer aus Scham
08. Regina Spektor - Don't Leave Me (Ne Me Quitte Pas)
09. L.A. - Older
10. Joel Alme - If She Ever Knew
11. Forest & Crispian - A Horse's Tale
12. King Charles - LoveBlood
13. Kassidy - One Man Army
14. The Medics - Griffin
15. Soulsavers - Longest Day
16. Imaginery Family - The Bird Watcher
17. Ulver - Magic Hollow
18. Samuel Lockridge - Woodland Hymn

Aufmerker gäb's viele, den schönsten hatte ich kürzlich schon mal bei facebook präsentiert, die Botschaft jedoch so toll, dass er hier noch mal in voller Bildgewalt zu sehen ist:


...und da ich es im Mai nicht geschafft habe, wird's im Juni bestimmt wieder eine Bänkelsängerausgabe auf dem "Radio der von Neil Young Getöteten" geben.