Favoritemsieg beim ESC der Superlative.
Zum 57. Mal durften sich beim Klassentreffen europäischer Sangeskunst die schönsten, ausssergewöhlichsten und selbstverständlich auch besten Vertreter des jeweiligen Starterlandes mit ihren Beiträgen messen. Aserbaidschans Hauptstadt Baku zeigte sich vor 120 Millionen Zuschauern am Bildschirm modern und doch traditionsbewußt, auch das Moderatorentrio um den Vorjahressieger Eldar zeigte sich bis auf Schwächen im Französischen von der bestmöglichen Seite. Lediglich die etwas fade Eröffnungssequenz und der Zwischenakt von Emin, seines Zeichens Schwiegersohn des aserbaidschanischen Präsidenten waren zu lang und vor allem zu farblos, um sich mit dem Motto "Light Your Fire" vollends zu identifizieren.
Doch wie auch in den vergangenen Jahren kommen wir nun zur Kritik im Einzelnen:
1) Vereinigtes Königreich/Engelbert Humperdinck - Love Will Set You Free
Ein ähnliches Phänomen wie im letzten Jahr beim Paradise Oscar. Mit der Startnummer 1 gewinnt man beim ESC kaum einen Blumentopf trotzdem der arg glattgebügelte Brite sehr gut gesungen hatte. Ein wenig mehr Punkte hätten dem inbrünstigen Pop-Schlager defininitv gut zu Gesicht gestanden, so muss sich Großbritannien mal wieder fragen, wen sie denn nun überhaupt schicken müssten, um Punkte zu bekommen.
2) Ungarn/Compact Disco - Sound Of Our Hearts
Hier war das Finale wohl schon Belohnung genug. Die gruselige Mischung aus eletronischem Pathos-Pop mit Artikulationsschwierigkeiten und 08/15-Melodien wollte in diesem Jahr kaum einer Hören. Gut so, denn die im Vorfeld angedichteten Vergleiche zu Depeche Mode wirkten mehr als haarsträubend.
3) Albanien/Rona Nishliu - Suus
Eine Überraschung. Mit Malefiz-Gedächtniskostümierung und einer denkwürdigen Frisur, die sich als Dreadlock über das Dekolltee der stimmgewaltigen Sängerin hinwegzog sang sie sich über gefühlte 17 Oktaven mit ihrem Klagelied auf einen hervorragenden fünften Platz.
4) Litauen/Donny Montell - Love Is Blind
Nicht nur blind, sondern wohl auch taub. Auch mit pailettenbesetzer Augenbinde und Akrobatik im Anzug wird aus einer angejazzten Schlagerschmonzette noch kein feiner ESC-Beitrag. Zumal Donny den Song in kuriosem Englisch in eine wahrhafte Disco-Scheußlichkeit münden lässt - erschreckend.
5) Bosnien-Herzigowina/Maya Sar - Korake Ti Znam
Ordentliche Pianoballade, die sicherlich auch den plüschigen Bars dieser Welt gut angekommen wäre. Auch bei Maya setzt sich der diesjährige Trend zum etwas comichaften Gothic-Kleidchen durch, als schwarzer Engel mit gestutzen Flügeln sang sich sich zwar gefällig, aber eben doch zu harmlos vor der Windmaschine entlang ins hintere Mittelfeld.
6) Russland/ Buranovskiye Babushki - Party For Everybody
Sechs Omis in udmurtischer Tracht singen einen Volkslied-Schlager-Mix mit englischen Brocken, dessen Refrain sich leider als ein vehementer Ohrwurm entpuppt. Ob's das Plätzchenbacken oder der sich drehende Ofen war, mag dahin gestellt sein, ein zweiter Platz ist definitiv zu viel des Guten.
7) Island/Greta Salóme & Jónsi - Never Forget
Schade! Das große, kristallklare Ethno-Duett wurde den Erwartungen dann doch leider nicht gerecht. Trotz hohem Einsatz und feiner Melodien konnten sich die wehmütigen Geigenklänge und die herrlichen Akkorde der beiden hervorragenden Musiker nicht in den Ohren Europas festsetzen.
8) Zypern/Ivi Adamou - La La Love
Im angesagten Nudelook halsbrecherisch um und auf den Büchertisch. Hätte Ivi zumindest den Hauch einer Stimme gehabt, hätte das unter Umständen funktionieren können. So wirkte "La La Love" viel zu anstregend, zumal nach den diversen Kapriolen durchaus hören konnte, das die Luft raus war.
9) Frankreich/Anggun - Echo (You And I)
Ambitioniert, aber eben nicht stringent. Die Französin mit den südostasiatischen Wurzeln wollte dann wohl doch zu viel. Ihr zu aufgesetzer Mix aus moderner Popmusik mit Gepfeife und Getanze und Winterbundesjugendspielen war in den drei Minuten zu sehr auf Aufmerksamkeit bedacht - und schwupps war sie wieder weg.
10) Italien/Nina Zili - L'Amore È Femmina (Out Of Love)
Ein Beitrag, der gewinnen hätte müssen (oder zumindest noch weiter oben platziert). Nian ist eine tadellose Sängerin und hatte den leicht an "Big Spender" gemahnenden Soulpop-Song voll im Griff. Eine unglaubliche Ausstrahlung und die fabelhafte Stimme reichten dann Gott sei Dank noch zur Top Ten.
11) Estland/Ott Lepland - Kuula
Der kann auch singen. Mit einer fast nicht vorhandenen Bühnenshow kann man, wenn man die entsprechende Stimme hat, anscheinend doch noch punkten und so ist eine der stärksten Balladen im Feld zu Recht so weit vorne gelandet.
12) Norwegen/Tooji - Stay
Es reicht halt dann doch nicht, wie ein Abercrombie&Fitch-Model auszusehen und seinen schlichten Ethno-Pop-Song mit guettaesker Melodienvielfalt aufzurüschen. Der Kapuzenbeauty hat seinen eigentlich gelungen Genremix nicht gut genug gesungen, da half auch der Geburtstagsbonus nicht - Platz 26!
13) Aserbaidschan/Sabina Babyeva - When The Music Dies
Leona Lewis könnte das mit Sicherheit besser. Wie bereits in den vergangenen Jahren wurden die besten Songschreiber eingekauft, doch was nutzt die schönste Powerballade, wenn Sabina so viel Charisma besitzt wie Wackelpudding. Ob es Verneigung vorm Gastgeber war, die "When The Music Dies" so hoch nach oben gehievt hat, bleibt mir, auch ob der eher spannungsarmen Bühnenshow ein Rätsel.
14) Rumänien/Mandinga - Zalilah
Das hat mich überrascht. Hatte ich den Gute-Laune-Sommerhit doch schon als nächsten Anwärter für Bulgariens Goldstrand-Diskotheken fest gebucht, mehr als Mittelfeld war dann aber wohl mit der Mischung aus lateinamerikanischer Folklore und Marching Band nicht drin - trotz Instrumentenvielfalt mit Dudelsack.
15) Dänemark/Soluna Samay - Should Have Known Better
Hier weint man sicherlich auch ein paar bitter Tränen. War die Straßenmusikerin zu harmlos, um mit ihrem feinen Pop-Song, der sich irgendwo zwischen Natalie Imbruglia und Sixpence Non The Richer einpendelt, in Europa ein paar Punkte abzuholen. Oder lag es an der etwas seltsam anmutenden "Skipper"-Mütze?
16) Griechenland/Eleftheria Eleftheriou - Aphrodisiac
Laaaaaaaaaaangweilig. Können die Griechen mal ein neues Lied zum ESC schicken. Auch "Aphrodisiac" bedient sich mal wieder im Euro-Dance-Pop-Regal, greift beherzt zu ein paar Bouzuki-Elementen und schnappt sich zielstrebig dass kürzeste Kleid Marke "billiges Flittchen". Endlich mal mit Mittelfeld bestraft - Nächster!
17) Schweden/Loreen - Euphoria.
Erste. Ob nun verdient oder nicht: "Euphoria" ist schon ein gutes Lied. Ob man nun dazu als Waldfee verkleidet Capoeira-Figuren machen muss oder den Ronja-Räubertochter-Stammestanz aufführt: ein wenig mehr Artikulation auf der einen, ein bisschen mehr Freude nach dem Sieg wäre schön gewesen.
18) Türkei/Can Bonomo - Love Me Back
Ahoi Kamerad! Die Bühnenshow war sicherlich einer der unterhaltsamten des Abend, die gesangliche Leistung eher zum Kielholen. Ein türkisches Shanty, dazu Matrosen mit Capes, die wie betrunkelne Fledermäuse tanzend auf Kaperfahrt gehen - Europa hat schon schlimmeres gehört und belohnt die Grinsekatze mit der TopTen.
19) Spanien/Pastora Soler - Quédate Conmigo
Endlich mal wieder Top Ten. Ich wette, wenn Pastora zumindest einmal freundlicher dreingeblickt hätte, wäre noch mehr drin gewesen, denn die gefühlvolle Ballade gehörte mit zu den gesangsstärksten Nummern des Abends. Vielleicht hätte man aber doch eine englische Version wählen sollen, um noch erfolgreicher zu sein, mir hingegen gefiel der insgesamt wieder mehr zur Landessprache gehende Trend ausnehmend gut.
20) Deutschland/Roman Lob - Standing Still
Gut war's. Genau der schlichte sympathische Auftritt, den ich mir gwünscht hatte, um den feinen, kleinen Popsong am besten wirken zu lassen. Mit Platz 8 besser platziert als zwischenzeitlich vermutet, darf man dem sympathischen Musiker ruhig aufmunternd auf die Schulter klopfen.
21) Malta/Kurt Calleja - This Is The Night
Dabei haben die mit so viel Spaß getanzt. Die Nummer des dauergrinsenden Maltesers macht Spaß, keine Frage, der Refrain bliebt seeeeeeeeeeehr lange im Ohr und die Tanzschritte sehen lustig aus. Ich behaupte mal, dass der Kurt, wäre er sagen wir mal für die Ukraine oder Russland angetreten, einen TopTen-Platz ergattert hätte.
22) Mazedonien/Kaliopi - Crno E Belo
Aus konventioneller Ballade ohne Schnicksack wird ein feuriges Rockgrusical. Stimmlich sehr interessant mit inflationär eingesetzem Vibrato trug der Hosenanzug der Sängerin dann wohl doch zu sehr auf, um den Song Marke "Gianna Nannini trifft Within Temptation beim Rondo Venezinao-Konzert" noch weiter nach vorn zu hieven.
23) Irland/Jedward - Waterline
Eigentlich schade. Da haben die zwei HB-Männchen schon einen viel besseren Song im Handgepäck als im letzten Jahr und spielen in Kostümen, die entweder an Prinz Eisenherz oder C3PO erinnern, mit dem Wasser, und dann reicht es gerade mal für einen Platz im hinteren Drittel. Machen sie nun wohl ihre Drohung war und kommen wieder bis sie gewinnen?
24) Serbien/Zeljko Joksimovic - Nije Ljubav Stvar
Wahrscheinlich könnte er dem geneigten ESC-Fan das sprichwörtliche Telefonbuch vorsingen und trotzdem würden alle anrufen. Seine diesjährige, die Balkanseele streichelnde Folkballade hatte allerdings auch wieder eine Güte, die mit einem guten dritten Platz hinreichend belohnt wurde.
25) Ukraine/Gaitana - Be My Guest.
Oder eben "Gay-Tanya" wie sich liebevoll nenne. Mit leichtem "Blume-Von-Hawaii"-Einschlag und kraftvollem Fanfarenstoss sang sie sich irgendwo an der Grenze zwischen Ru Paul und Gloria Gaynor vor berockten Tänzern schon mal in EM-Form. Platz 15 ist allerdings sicherlich nicht das beste Omen...
26) Molawien/Pasha Parfeny - Lautar
Doooof. Wieso erkennt Europa das Hitpontial des fabelhaften Pashas nicht. Gut, er sieht schon aus wie ein dauergrinsender Colin Farell, aber diese Freude, diese Balkan-Trompeten, diese Katy-Perry-Gedächtskleidchen und dieser bescheuerte Text: mehr ESC geht doch eigentlich kaum. Nun gut, immerhin fast TopTen, damit kann ich einigermaßne leben.
Den Sieger poste ich (wieder nicht), dieses Mal gibt's den am ehesten auf dem Bänkelsänger beheimateten Drittplatzierten aus Serbien:
...und damit verabschiede ich mich von der diesjährigen ESC-Bühne, gratuliere noch einmal artig nach Schweden und bedanke mich für einen durchaus spektakulären Eurovisionsabend, der qualitativ in diesem Jahr doch so einiges zu bieten hatte. Mit dem obligaten Käseligel, guten Freuden und Fassbrause wurde wieder einmal mitgefiebert bis aufs Blut und so gibt's jetzt nur noch eins zu sagen: Sag ol, Baku!
Frei nach Sarrazin: Europa braucht den Eurovisions-Contest nicht!
AntwortenLöschenIm übrigen mutet es schon grotesk an wenn man allerorten hört, so einer wie Engelbert (oder vor zwei Jahren Didkrik Solli-Tangen oder vor drei Jahren Andrew Lloyd Webber als Komponist für Jade Ewen) gehöre da irgendwie nicht hin. Da führen sich einige auf wie eine Horde rüpelhafter Hausbesetzer, die nach 20 Jahren Räuberei nicht fassen können, wenn plötzlich die Alteigentümer – hier: Schlager und klassisches Chanson-Genre – in der Tür stehen.
AntwortenLöschenNur komisch, dass diese “altbackene” Musiksparte sich bei weltweit gemesenen Plattenverkäufen deutlich besser schlägt als der nervig-krawallige Togetherness-Einheitsbrei des ESC seit der Balkan/Kaukasus-Okkupation!
Den Briten würde ich raten, es dem Balkan nachzumachen: Schottland, Nordirland, Wales und England getrennt antreten lassen.
Danke für's Kommentieren.
AntwortenLöschen@musicfan braucht Europa den eine EM in Polen und der Ukraine?
@Regensburgerin Ich kann das Argument durchaus nachfühlen und stimme auch was die Genre-Verteilung angeht zu. Allerdings ist eine Trennung Großbritanniens nur dann möglich, wenn es in den jeweiligen Regionen einen der EBU zugehörigen Fernsehsender gibt und das ist nicht der Fall.