Montag, 29. Mai 2017

Im Schnelldurchlauf – 2017 (I)




Inzwischen findet auf dem Bänkelsänger selbst viel zu wenig statt, während ich zumindest bei Facebook mit den Zwischenmahlzeiten noch den ein oder anderen musikalischen Volltreffer in den Fokus rücke. Grund genug den Schnelldurchlauf zu reaktivieren, um zwar nicht in epischer Ausformulierung, dafür aber vielfältig prägnant wieder mehr Musik ins Blickfeld zu bringen.
Dabei lasse ich mich wie gehabt eher vom eigenen Geschmack, denn von der gefühlten Dringlichkeit oder Aktualität leiten, was mich direkt beim ersten Künstler landen lässt, bei dem ich mich vor allem darüber ärgere, dass ich mich mit dessem Erstlingswerk erst nach dessen münsterschen Konzert beschäftigt habe und somit leider nicht auf Verdacht dort gewesen bin.


Der eigentlich bislang nur als Schauspieler in Erscheinung getretene Schilling macht auf Vilnius drängendern, chansonesken Pop, der sich zwischen die Stühle zu setzen scheint und gerade deshalb wunderbar funktioniert. Die jungenhafte Stimme Schillings, die mehr erzählt, denn tatsächlich singt, passt sowohl zur irgendwo zwischen Hinterhofband, Landstreicherfolk und Spelunkenjazz changierenden Musik als auch zu den Geschichten, von denen der Mime zu berichten hat. Vor allem das flirrende, einnehme Abschlussstück „Kalt Ist Der Abendhauch“, die ungestüme „Ballade von René“ und das hin und her stolpernde „Rasteryaev“ machen die besten Figuren, aber selbst das aufs erste Ohr ungewohnt süßliche Duett „Ja oder Nein“ mit Annett Louisan oder das Bettina Wegner-Cover „Kinder“, dass eine Spur zu beschaulich geraten ist, lassen „Vilnius“ zu einem erstaunlichen Erstlingswerk werden. Schon jetzt ein ernsthafter Kandidat, wenn es um die Jahresabrechung geht. 


Hurray For The Riff Raff – The Navigator

Deutlich zu wenig Beachtung hierzulande hat das mittlerweile sechste Studioalbum von Hurray For The Riff Raff bekommen. „The Navigator“ beschäftigt sich mit den puertoricanischen Wurzeln Alynda Segarras. Segarra ist Tausendsassa, kreativer Kopf und Leadsängerin zugleich und lässt während der gut vierzig Minuten Spieldauer hinreißend eingängige, mit viel Lokalkolorit gefärbte Indiefolksongs erklingen, wie das nach PJ Harvey schielende „Living In The City“. Doch auch das großartige „Pa'lante“, das ganz tief in der mittelamerikanischen Kultur badet, die tropische Americana-Fantasie „Rican Beach“ und selbst das einrahmende Doppel aus „Entrance“ und „Finale“ fangen die Stimmung zwischen wehmütiger Rückschau und emanziepierter Vorschau brilliant ein. 


Colter Wall – Colter Wall

Geschichten erzählen wie einstmals am Lagerfeuer oder aber auf den weiten Trails des mittleren Westen – mit der Stimme musste sich der blutjunge Colter Wall einfach an zum Teil historischen Americana- und Country-Titeln versuchen und lässt auf seinem selbstbetitelten Debüt keinen Zwischenton aus. Rostig, mürbe, so dunkel und tief wie ein Brunnenschacht veredelt das Organ des Kanadiers Hymnen wie Jimmy Rodgers „Thirteen Silver Dollars“ oder Bobby Helms „Fraulein“. Doch nicht nur die Stimme macht aus „Colter Wall“ einen ständigen Begleiter im Ohr. Denn auch die unglaublich virtuosen Banjo- Fiddle- und Steelguitarklänge machen aus Mörderballaden wie dem formidablen „Kate McCannon“ echte Silver Bullets für die geschundene amerikanische Seele.