Inzwischen findet auf dem Bänkelsänger
selbst viel zu wenig statt, während ich zumindest bei Facebook mit
den Zwischenmahlzeiten noch den ein oder anderen musikalischen
Volltreffer in den Fokus rücke. Grund genug den Schnelldurchlauf zu
reaktivieren, um zwar nicht in epischer Ausformulierung, dafür aber
vielfältig prägnant wieder mehr Musik ins Blickfeld zu bringen.
Dabei lasse ich mich wie gehabt eher
vom eigenen Geschmack, denn von der gefühlten Dringlichkeit oder
Aktualität leiten, was mich direkt beim ersten Künstler landen
lässt, bei dem ich mich vor allem darüber ärgere, dass ich mich
mit dessem Erstlingswerk erst nach dessen münsterschen Konzert
beschäftigt habe und somit leider nicht auf Verdacht dort gewesen
bin.
Tom Schilling & The Jazz Kids -
Vilnius
Der eigentlich bislang nur als
Schauspieler in Erscheinung getretene Schilling macht auf Vilnius
drängendern, chansonesken Pop, der sich zwischen die Stühle zu
setzen scheint und gerade deshalb wunderbar funktioniert. Die
jungenhafte Stimme Schillings, die mehr erzählt, denn tatsächlich
singt, passt sowohl zur irgendwo zwischen Hinterhofband,
Landstreicherfolk und Spelunkenjazz changierenden Musik als auch zu
den Geschichten, von denen der Mime zu berichten hat. Vor allem das
flirrende, einnehme Abschlussstück „Kalt Ist Der Abendhauch“,
die ungestüme „Ballade von René“ und das hin und her
stolpernde „Rasteryaev“ machen die besten Figuren, aber selbst
das aufs erste Ohr ungewohnt süßliche Duett „Ja oder Nein“ mit
Annett Louisan oder das Bettina Wegner-Cover „Kinder“, dass eine
Spur zu beschaulich geraten ist, lassen „Vilnius“ zu einem
erstaunlichen Erstlingswerk werden. Schon jetzt ein ernsthafter
Kandidat, wenn es um die Jahresabrechung geht.
Hurray For The Riff Raff – The
Navigator
Deutlich zu wenig Beachtung hierzulande
hat das mittlerweile sechste Studioalbum von Hurray For The Riff Raff
bekommen. „The Navigator“ beschäftigt sich mit den
puertoricanischen Wurzeln Alynda Segarras. Segarra ist Tausendsassa,
kreativer Kopf und Leadsängerin zugleich und lässt während der gut
vierzig Minuten Spieldauer hinreißend eingängige, mit viel
Lokalkolorit gefärbte Indiefolksongs erklingen, wie das nach PJ
Harvey schielende „Living In The City“. Doch auch das großartige
„Pa'lante“, das ganz tief in der mittelamerikanischen Kultur
badet, die tropische Americana-Fantasie „Rican Beach“ und selbst
das einrahmende Doppel aus „Entrance“ und „Finale“ fangen die
Stimmung zwischen wehmütiger Rückschau und emanziepierter Vorschau
brilliant ein.
Colter Wall – Colter Wall
Geschichten erzählen wie einstmals am
Lagerfeuer oder aber auf den weiten Trails des mittleren Westen –
mit der Stimme musste sich der blutjunge Colter Wall einfach an zum
Teil historischen Americana- und Country-Titeln versuchen und lässt
auf seinem selbstbetitelten Debüt keinen Zwischenton aus. Rostig,
mürbe, so dunkel und tief wie ein Brunnenschacht veredelt das Organ
des Kanadiers Hymnen wie Jimmy Rodgers „Thirteen Silver Dollars“
oder Bobby Helms „Fraulein“. Doch nicht nur die Stimme macht aus
„Colter Wall“ einen ständigen Begleiter im Ohr. Denn auch die
unglaublich virtuosen Banjo- Fiddle- und Steelguitarklänge machen
aus Mörderballaden wie dem formidablen „Kate McCannon“ echte
Silver Bullets für die geschundene amerikanische Seele.